Nach einem Jahr ist es nun endlich soweit! Die Ausstellung findet statt. Vom 3. Juli an ist sie immer Montag und Mittwoch von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Vernissage am Samstag, den 3. Juli 15 – 17 Uhr. SALI e TABACCHI – Saarbrücken Feldmannstraße 144.
Bei Acqua alta wird Venedig von Besuchern überrannt, die sich das Schauspiel des Untergangs ansehen und sich darin suhlen… Einen kritischen Blick auf dieses Schauspiel zeigt meine neue Ausstellung.
Ausstellung im Sali e tabacchi in Saarbrücken
Ab dem 3. Juli stelle ich meine neusten Arbeiten zu Venedig in dem zwar kleinen aber wunderbaren Sali e Tabacchi in der Feldmannstraße in Saarbrücken aus. Am Samstag 3. Juli ist von 15 – 17 Uhr die Vernissage und Dr. Ingeborg Besch wird zu meinen neuen Arbeiten sprechen.
Es dürfen immer vier Besucher gleichzeitig ins Sali. Für alle, die es Samstag nicht schaffen. Die Rede kann auch später noch angehört und erlesen werden.
Ein großes Dankeschön an Albert Herbig und Jörg Schmauch, dass ich in ihren Räumen ausstellen dar. Ich freue mich auf Euch!
Hier der begleitende Text von Dr. Ingeborg Besch zur Ausstellung
Acqua alta
Annelie Scherschel Freudenberger konfrontiert uns in ihrer Ausstellung „Acqua alta“ zunächst mit dem Mose Michelangelos, eine Skulptur aus wertvollem Carrara-Marmor. In San Pietro in Vincoli in Rom gehört er zum Grabmal des Papstes Julius um 1513 geschaffen – nie vollendet, dieses Grabmal, da ein frühes Beispiel für Hybris. Er ist nicht nur der berühmteste Moses der Welt – nein, diese Skulptur ist zum Zeichen für den Beauftragten Gottes auf Erden schlechthin geworden; für den starken, auch zornigen Mann, der das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei befreit und ins gelobte Land führen wird. Die Überlieferung aus dem „Pentateuch“ schildert wie ein Neugeborenes aus dem Stamme Levi an den Ufern des Nils in einem Körbchen ausgesetzt wurde, um es vor dem Tötungswahn des Pharaos zu retten. Ausgerechnet die Tochter des Pharos findet zusammen mit ihren Dienerinnen das Körbchen am Ufer. Sie nimmt das Knäblein als Sohn an, so dass er ein Auserwählter qua Schicksal ist. Nur durch Gottes Fügung wurde dies Kindlein gerettet, damit es dereinst das Volk Israel befreien werde und den Menschen Gottes Gesetze auf steinernen Tafeln überbringen werde. Gebote, in denen bis auf den heutigen Tag alles steht, was man für ein ethisch hochwertiges und nachhaltiges Leben befolgen sollte.
Der Titel der Ausstellung lautet „Acqua alta“, Hochwasser. Warum begrüßt uns die Künstlerin mit dem beeindruckenden Moses, streng mit wallendem Bart, hinter der venezianischen Basilika San Marco aufragend, wo er doch gar nicht hingehört?
Aqua alta ist nicht irgendein Hochwasser, dieser Begriff ist zum Synonym für die Überflutung der Lagunenstadt Venedig in Nord-Ost Italien geworden. Wer kennt es nicht, das romantisch anmutende Foto des Markusdoms, der sich im schwarzen Wasser spiegelt. Im November 2019 gab es die schlimmste Überflutung seit 50 Jahren. Was sich auf Fotos aufregend pittoresk bestaunen lässt, ist für die auf Eichenpfählen errichtete Stadt und ihre Bewohner und Bewohnerinnen, aber auch für die das Geld in die Stadt spülenden Touristen, also für die, die nicht von einem Kreuzfahrtschiff kommen, gar nicht lustig.
Venedig wurde um sich vor den Hunnenüberfällen zu schützen, vor der Küste, in die Lagune gebaut, also in, durch Sandablagerungen flaches Gewässer von im Schnitt 1,50 m und maximal 22 m Tiefe. An drei Pforten öffnet sich dieses komplexe System von Sandbänken zum offenen Meer hinaus. Der stete Austausch mit dem sauerstoffreichen Meereswasser war so fein justiert, dass Leben im Wasser möglich ist, aber die riesige Tümpelanlage als „laguna morta“ bezeichnet wird. Man denke an die morbide Schwüle von Thomas Manns „Tod in Venedig“.
Drücken sich bei schwerem Unwetter die Wassermassen durch die Pforten, so wird die Kraft des Elements eine Bedrohung für Menschen, für wertvolle Gebäude, für unschätzbare Kulturgüter. Was Jahrhunderte lang funktionierte ist zu solch großem Problem geworden, dass mit einem milliarden- und tonnenschweren System eine Schutzanlage seit 2003 errichtet wurde: Das „modulo sperimentale elettromeccanico“, (elektromechanisches Versuchsmodul) in doppelsinniger Weise abgekürzt: MO.S.E genannt.
Der Mose des Pentateuch greift auf Gottes Geheiß ins menschliche Schicksal ein. Die Maschinerie, die nun vollendet ist, versucht es aufgrund der technischen Möglichkeiten, die menschlicher Verstand errungen hat. Hybris?
78 bewegliche, gelbe Stahlbarrieren, jeder Kasten 250 t schwer, 20 m breit, 30 m hoch, bis zu 5 m tief, liegen mit Wasser gefüllt am Meeresboden. Droht Gefahr, wird das Wasser aus den Kisten gepresst, sie steigen auf und bilden eine Sperre gegen die Flut. Wird man dieses System allerdings bei jedem Aqua alta anwenden, würde die Lagune so lange von der Sauerstoffzufuhr des offenen Meeres abgetrennt, dass Fische verenden, Vögel fliehen und Eichenpfähle faulen. Ein Fiasko. Operation geglückt – Patient tot.
Der biblische Moses teilte die Fluten des roten Meeres, um das auserwählte Volk sicher hindurch zu führen. Er steht für das Phänomen des ökologischen Gleichgewichts, welches die Schöpfung am Atmen hält. Die intelligenten Maschinen des Menschen sind dazu bis dato nicht fähig. Sie arbeiten am Verdorbenen, machen wir es in die eine Richtung gut, so leidet die andere und umgekehrt.
Ein wesentlicher Teil der Wahrheit ist, dass „Acqua alta“ der aktuellen Form ein Manufaktum darstellt, handgemacht, vom Menschen. Annelie Scherschel Freudenberger baut mit ihren auch „schönen“ Bildern ein Gleichnis vor uns auf.
Bereits in den beginnenden 1960er Jahren hob man die ersten Kanäle aus, um den Hafen für Erdöltanker befahrbar zu machen. Im 21. Jahrhundert sind es die unzähligen Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt, so riesig, dass ein Markusdom 3 x in Breite und Höhe hinein passt, für die viel zu tiefe Furten ausgehoben wurden. Der Austausch der Wasser zwischen Lagune und offenem Meer ist aus dem Gleichgewicht gehebelt. Nun soll eine hybride Schleusenanlage den Schaden wieder gut machen. Fazit: Es funktioniert nicht.
Annelie Scherschel Freudenberger ist ganz gewiss vom maroden Charme dieser einzigartigen Stadt berührt, von angefressenen Pallastfassaden hinter denen sich reiche Stuckverzierungen, Lüster, Kandelaber und wertvolle Tapisserien verbergen. Das verraten uns die Details ihrer Werke: kostbare Stoffe, barockes Interieur, feines glänzendes Blattgold. Die Republik Venedig zwischen Orient und Okzident trieb Handel in beide Richtungen, ihre Macht, ihr Reichtum, Glanz und Schönheit waren unermesslich. Es sind nicht zuletzt die collagierten Figuren barocker Gemälde, die Üppigkeit und Wohlstand assoziieren.
Die Gondel in Schräglage mit Gondoliere könnte das Körbchen mit dem Knaben retten. Das Kreuzfahrtschiff dagegen hinter der sich nach dem Körbchen bückenden Figur aus einem Gemälde von Antonio Diziani aus dem 18. Jahrhundert, scheint die Dienerin der Pharaostochter und das Moses-Knäblein eher zu überfahren. So wie die „Alten Meister“ die römisch/griechische Welt durch antike Tempel und Pavillons in ihren Gemälden mit der zukünftigen christlichen Welt des Monotheismus, welche der Säugling im Korb symbolisiert, verbindet, so bringt Annelie Scherschel Freudenberger die venezianischen Traditionen mit den Kräften der Gegenwart in Verbindung: Aber die Moseskörbchen von Gustave Doré vor der Santa Maria della Salute driften ins Nichts, sie werden nicht gerettet, und das Kreuzfahrtschiff mit der Findungsszene von Oratio Gentileschi wird den Campanile zunichte machen. Die wunderbare Figur der orangerot gewandeten Dienerin von Giovanni Lanfranco scheint das Kind aus gefrorenem Eis zu bergen, der Eisblock entpuppt sich als der Bug eines Kreuzfahrtschiffes. Die barocken Kuppeln von Venedig versinken dahinter im Dunkel vor apokalyptisch feuerrotem Himmel.
In den Collagen finden sich subtile und raffinierte Anspielungen auf Pracht, Reichtum und Schönheit der alten Welt im Kontrast zum Luxus der gegenwärtigen. Fakt ist, dass wir bis heute Venedigs Pracht und künstlerische Hochwertigkeit bewundern können. Wird das mit den Luxusgütern der Gegenwart in 500 Jahren auch so sein?
Rechts vom strengen Antlitz des Moses findet sich ein Bild von stiller Poesie. Wieder ist es die Figur der orangerot gewandeten Dienerin von Giovanni Lanfranco, die ins Werk collagiert das Körbchen aus sumpfigem Tümpel hebt. Sie ist allein, ohne jegliche Assistenzfiguren, ohne Glanz und königliche Glorie schwebt sie vor rötlich brütendem Himmel mit dem auserwählten Knaben in den Händen. Hebt sie den Korb empor oder bettet sie ihn zur ewigen Ruhe in die Laguna morta? Am Horizont in dunkler Silhouette Venedigs Wahrzeichen, Kuppeln von Santa Maria della Salute und Palladios großartige Santa Maria Maggiore auf der gleichnamigen Insel vor der Guidecca. Venedig ist ein Kosmos. Ein fein gefügter Öko- und Kulturorganismus. Ein Gleichnis für das Wunder dieser im Weltall eingefügten Kugel, die wir Erde nennen.
Versinkt diese Stadt der Wunder wirklich am Horizont? Ist der Demiurg wirklich gescheitert, so dass ein Kreis sich schließt und das Körbchen zurück wandert?
Dr. Ingeborg Besch
Und so sah es vor über einem Jahr aus: Ausstellung verschoben!